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Wie die 1. Ukrainische Teilung ihren Weg in die Medien fand

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In der Ukraine finden am kommenden Sonntag Parlamentswahlen statt. Alles andere als ein Sieg des Parteienbündnisses von Präsident Poroschenko wäre sicherlich eine Überraschung. Der Waffenstillstand hat zwar bisher keine weiteren Gefechte in der Ostukraine verhindert, kann aber deshalb keineswegs als gescheitert angesehen werden. Er sichert den Status quo, allerdings ohne Aussicht auf eine weitergehende politische Lösung. Wobei niemand weiß, welche Akteure auf beiden Seiten diesen Waffenstillstand genau aus den Gründen zu sabotieren versuchen. Vor diesem Hintergrund gab es in den vergangenen Tagen eine Meldung von Politico über ein Interview mit dem ehemaligen polnischen Außenminister Sikorski. Es zeigt die Absurdität einer politischen Debatte, die jeden Sinn verloren hat. Sikorski berichtete nämlich von einem angeblichen Angebot Putins aus dem Jahr 2008. Russland und Polen sollten die Ukraine unter sich aufteilen. Man muss sich das einmal vorstellen: Russland, bekanntlich an vier polnischen Teilungen beteiligt, soll Polen ein solches Angebot gemacht haben. Einem Mitglied der Nato und der EU, das eine solche Politik wohl nur unter einer Voraussetzung machen könnte: Wenn es völlig den Verstand verlieren sollte.

Über diese Nachricht wurde weltweit in allen Medien an prominenter Stelle berichtet. Der Politico-Redakteur freute sich über seinen Scoop. Die Plausibilität eines solchen Vorschlags, der an eine Satire über Geopolitik erinnerte (eine gute Diskussion gab es in der Berliner Republik), wurde auch nicht mehr überprüft. Es reichte offenbar, den gewünschten Eindruck zu erzeugen. Putin ist alles zuzutrauen und er könnte sogar eine solche Verrücktheit als operative Politik verstehen. Mittlerweile ist Sikorski zurückgerudert. Aus der 1. Ukrainischen Teilung ist ein Gerücht geworden, das er allerdings dem Politico-Journalisten vertrauensselig anvertraut haben muss.

“Während Sikorski zunächst sagte, seine Worte in dem nicht autorisierten Interview seien “überinterpretiert” worden, gestand er nun, dass er bei dem Treffen in Moskau gar nicht anwesend gewesen sei. Er habe aber Berichte erhalten, dass ähnliche Worte gefallen seien, die entweder als “historische Anspielung oder übler Scherz” zu verstehen seien.”

Diese Episode bringt das Problem unserer außenpolitischen Debatte und wie Medien diese beeinflussen auf den Punkt. Es geht um Skandalisierung und moralische Diskreditierung des politischen Gegners, selbst wenn es sich offenkundig um hirnverbrannten Unsinn handelt. Medien können in dieser Logik nicht mehr das leisten, was eigentlich ihre Aufgabe ist: Informationen zu bewerten und einzuordnen. Die Berichterstattung reduziert sich auf die bloße Weitergabe der Information. Wenn sich diese Meldung einige Tage später als falsch herausstellen sollte, findet man eine Korrektur auf den hinteren Plätzen. Oder es gibt einen neuen Anreiz zur Skandalisierung, etwa wie bei n-tv mit der Frage nach den politischen Folgen für Sikorski.

In gleicher Weise wurde gestern Nacht über den Einsatz von Giftgas durch ISIS in Kobane berichtet. Der Ursprung der Meldung ist offensichtlich kurz vor Mitternacht auf Twitter zu finden gewesen. Ein Arzt hat wegen der Symptomatik eines Patienten diesen Verdacht geäußert. ISIS traut man mit guten Gründen alles zu. Aber welchen Sinn soll der Einsatz von Giftgas in einer Stadt mit einem Frontverlauf wie in Kobane haben, wo beide Seiten in erbitterten Häuserkämpfen verwickelt sind? Jeder Kommandeur müsste befürchten, die eigenen Einheiten zu treffen anstatt den Feind. Der Einsatz wäre wohl ein reines Glücksspiel gewesen. Mittlerweile ist diese Meldung dementiert worden. Aber der Eindruck einer moralischen Diskreditierung von ISIS bleibt, obwohl sich über die moralische Qualität von ISIS wirklich niemand mehr Illusionen macht.

Dazu passt übrigens auch die Geschichte von den Waffen, die von den USA aus der Luft abgeworfen worden sind, aber anstatt bei den Kurden bei ISIS gelandet sind. Tatsächlich ist es unter den Bedingungen in Kobane fast unmöglich, solche Fehlabwürfe zu vermeiden. Man müsste somit nicht titeln “Waffen für Kurden bei ISIS gelandet”, sondern das genaue Gegenteil: “Fast alle Waffen bei den Kurden gelandet”. Das wäre zwar inhaltlich plausibel, aber nicht halb so interessant, obwohl es im Artikel als Stellungnahme des Pentagon durchaus erwähnt wird.

“Selbst wenn ein Bündel sein Ziel nicht erreicht habe, sei die Erfolgsquote der Abwürfe aber äußerst hoch.”

Wie Medien dieser Logik entkommen können? Sicher nicht durch Ignorieren. Niemand wird sich dem Aktualitätsdruck und der Konkurrenzsituation entziehen können. Am besten vielleicht noch durch relativierende Bemerkungen, wie “angeblich” oder “nach von unabhängiger Seite unbestätigten Informationen”. Damit bleibt die Meldung aber in der Welt. Nur sollte man sich bewusst machen, dass Journalisten (und deren Leser) so für Manipulationen anfällig werden. Denn politische Akteure und deren PR nutzen diesen Mechanismus zu ihren Gunsten aus. Dafür muss man niemanden bestechen. Man muss nur wissen, wie das heutige Mediensystem funktioniert.

update

Zur Situation in der Ukraine Benjamin Bidder auf Spiegel online.

23.10.2014

Meine Frühkritik der Sendung von Anne Will gestern Abend. Es ging um die Streiks bei der Bahn und der Lufthansa.

24.10.2014

In den Kommentaren ist öfter das Buch von Udo Ulfkotte erwähnt worden. Ich habe das Buch nicht gelesen, aber dafür Stefan Niggemeier. Dazu hat er sich in seinem Blog geäußert und wird es auch noch bei den Krautreportern tun. Ansonsten verweise ich auf die Debatte mit Hardy über die Rolle der Medien, die wir schon hier geführt haben. In dem thread geht es dann mit der Antwort von Hardy auf meinen Kommentar hier weiter, woraus sich eine lesenswerte Diskussion entwickelt hat.

09:00 Uhr

Ansonsten noch etwas zum Thema Giftgas und ISIS. Es geht um einen vermuteten Einsatz im Irak, allerdings jetzt schon im September. Die Quelle ist die Washington Post. Warum das erst jetzt aufgefallen ist, wohl ein Thema für sich.

09:45 uhr

Hier jetzt auch Niggemeiers Buchbesprechung bei den Krautreportern.


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